Verleihung des i'Slam-Kunstpreises (17. 12. 2016)

ArtAward2016
i,Slam: Fünf Jahre Poetry-Slam und ein Kunstpreis

Fünf Jahre nach der Gründung des Vereins "i´Slam" ist die Verleihung des ersten i,Slam-Kunstpreises für soziale und gesellschaftskritische Kunst der Höhepunkt der Initiative. Die Botschaften der jungen Menschen bei der Veranstaltung sind persönlich und politisch, ohne Umschweife konkret, ohne Weichzeichen brisant.

 

12.01.2017 Von: Vera Block

Der Verein i,Slam holt junge muslimische PoetInnen auf die Bühne und verleiht anlässlich seines 5-jährigen Jubiläums zum ersten Mal einen Kunstpreis.

Auf der Bühne unter dem i,Slam-Logo liefert sich eine junge Frau in hautfarbenen High-Heels und einem farblich passenden Hijab ironische Wortgefechte mit ihrem Co-Moderator. Über ihnen ein zackiger schwarzer Schriftzug wie das Signatur-Kürzel eines Graffiti-Künstlers: i,Slam. Das i-Tüpfelchen ist ein Mikrofon; so wird der Bezug zum Poetry-Slam, den Live-Wettbewerben dichtender WortkünstlerInnen, deutlich. i,Slam setzt seinen Fokus auf junge KünstlerInnen aus der deutsch-islamischen Welt.

Leila El-Amaire und Youssef Adlah gehören zu den führenden Köpfen des i,Slam-Teams. Zum 17.12.2016 haben sie zur Verleihung des ersten i,Slam-Kunstpreises geladen. Der Ort: ein Kongresszentrum nur wenige Schritte vom Brandenburger Tor entfernt. Stolz und gerührt blicken die beiden von der Bühne in den vollen Saal vor ihnen.

„Wir haben friedliche Absichten“

Youssef Adlah begrüßt seine Gäste und im gleichen Satz auch die Polizei und den Verfassungsschutz. Das Publikum lacht laut, aber mit einer bitteren Note. Der Verweis auf staatliche Beobachtung scheint ein Insider-Witz in der muslimischen Community zu sein. „Wir haben friedliche Absichten“, setzt Youssef Adlah einen drauf und erntet einen weiteren Lacher. Und tosenden Beifall.

„Kunst ist nicht nur Ästhetik, Kunst ist nicht nur schön, Kunst hat auch eine große Verantwortung“, sagt der 28-jährige Adlah, der Ideengeber und Gründer von i,Slam. Der Kunstpreis für soziale und gesellschaftskritische Kunst, der im Rahmen des Programms „Demokratie Leben“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt wurde, ist sein größter Coup.

Über zweihundert Wettbewerbsbeiträge kamen zusammen. In den Kategorien Literatur/Poetry, Video, Musik/Gesang und Bild/Design galt es unter den Einreichungen je 10.000 Euro Preisgeld zu verteilen. Allerdings nicht als Geld, sondern als Förderleistungen, die in Workshops, Schulungen und Coachings fließen. Denn i,Slam versteht sich ausdrücklich als ein Verein im Sinne des Empowerments: Er will die Kreativität und den Mut zum künstlerischen Ausdruck fördern. Eine eigene Bühne, um gehört zu werden. Bei der Gründung des Vereins vor fünf Jahren standen junge deutsche MuslimInnen im Fokus. Schnell wurde den i,SlamerInnen aber klar, dass sie sich an alle Jugendlichen richten wollen, vor allem die mit Migrationshintergrund. Es war die Zeit, als Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ die Medien beherrschte. „Es hat genervt“, erinnert sich Leila El-Amaire, „dass so jemand wie Sarrazin pauschal über eine Gruppe von Menschen, die in Deutschland leben, Urteile fällen kann, die noch nicht mal wissenschaftlich fundiert sind. Wohingegen Leute wie wir, die tatsächlich Ahnung haben, noch nicht mal ansatzweise als Experten wahrgenommen werden. Und da dachten wir uns, wenn man uns nicht zuhören möchte, dann schaffen wir uns unsere eigene Bühne.“
Den Namen i,Slam hat sich Youssef Adlah ausgedacht, selbst ein passionierter Slam-Poet. Vor fünf Jahren stand er zum ersten Mal auf der Bühne als Gastgeber seines ersten i,Slam-Abends. Seitdem finden regelmäßig Battles über muslimisches Leben in Deutschland, Sinnsuche und Alltag zwischen den Kulturen statt. Die Regeln sind nicht anders als bei allen Poetry-Slam-Veranstaltungen: eigener Text, Live-Performance ohne Musik oder Hilfsmittel, Zeitlimit. Allerdings, wenn eine Slam-Poetin oder ein Slam-Poet mal während des Auftritts den Faden verliert, brüllt das Publikum zur Unterstützung nicht „Heavy Metal“, wie bei Poetry-Slams sonst üblich, sondern „Falafel“.
Es gibt einen weiteren Unterschied zwischen i,Slam-Abenden und anderen Poetry-Slam-Veranstaltungen – lustige Themen gibt es selten. Es geht um aktuelle politische Entwicklungen, aber auch um Identität, Diversität, Rassismus-Erfahrungen. „Vor fünf Jahren hat noch niemand von Rassismus geredet, sondern nur von Diskriminierung“, so Leila Al-Amaire. „Und jetzt ist es so, dass man knallhart einfach das Wort Rassismus benutzt. Vorher war das viel zu abstrakt, vorher wusste man einfach – irgendwas passiert mit mir, aber ich kann es nicht genau beschreiben, ich weiß nur, dass es unfair ist.“ Doch je mehr die Themen in die Mitte der Gesellschaft rückten, umso stärker drückte sich dies in den Texten der i,Slam-PoetInnen aus.
„Meine Heimat geht mir fremd!“
Diese Entwicklung führte zu einem immer größer werdenden Erfolg von i-Slam. Fünf Jahre nach der Gründung des Vereins ist die Verleihung des ersten i,Slam-Kunstpreises für soziale und gesellschaftskritische Kunst der Höhepunkt der Initiative. Die Botschaften der jungen Menschen bei der Veranstaltung sind persönlich und politisch, ohne Umschweife konkret, ohne Weichzeichen brisant. In der Kategorie Musik performt der Gewinner seinen Rap mit dem Refrain:

„Diese Hülle ist das Äußere, darunter die Essenz |
Der Kern von meinem Wesen – dieser unsichtbare Mensch |
Eure grenzenlosen Grenzen, eure Schubladen |
verursachen Blutlachen.“ |

Der Saal tobt. Als das Gewinner-Video über die Leinwand flimmert, schweigt das Publikum: Eine Muslima irrt durch einen Wald, begleitet von Aufnahmen von Pegida-Veranstaltungen. Die Frau stellt sich ihrer Angst und fragt in die Kamera: „Wie kann es sein, dass dieses Land, das Land meines Vaters, meiner Familie, meiner Freunde, das Land, was meine Heimat ist, dass dieses Land mir fremd geht?! Und mit wem?!“

Um ohne Selbstzensur und Scheu vom gefühlten Unrecht zu texten und frei vorzutragen, braucht es Vertrauen und Sicherheit. Und einen geschützten Raum. Eben dieser Umstand sorgt seit Bestehen von i,Slam für Diskussionen mit den anderen Poetry-Slam-Veranstaltern. Die Bühnen seien doch für alle frei, warum müssen Muslime sich separieren? „Weil sie ja selbst immer in einem sicheren Raum sind, den es für uns nicht gibt, haben sie nicht verstehen können, warum man so einen geschützten Raum braucht: um erst einmal empowert zu werden, um die Kraft zu sammeln, später auf die anderen Bühnen zu gehen“, so Youssef Adlah.

Mut und Handwerk

Der Verein i,Slam bietet Jugendlichen diesen „sicheren Raum“ und darin Anregungen und Impulse, die eigene Kreativität zu entdecken. Allein 2016 gab es 26 Workshops zu Kreativitätstechniken, Projektentwicklung, Rhetorik und freiem Schreiben. Leila El-Amaire, bei i,Slam als Trainerin aktiv, merkt immer wieder, wie wichtig fördernde Unterstützung ist. Denn viele junge Menschen glauben nicht daran, etwas Kreatives schaffen zu können, resignieren schnell und müssen an Rückschlägen vorbei gelotst werden. Bis sie erleben, welche stärkende Kraft eigene Kreativität haben kann. Youssef Adlah kennt dieses Gefühl zu gut.

Seine Familie ist aus Syrien nach Deutschland umgesiedelt, als er zehn war. Schreiben hat ihm geholfen, den Tod seiner Schwester zu verarbeiten und über seine Erfahrungen im Spannungsfeld zwischen seiner syrischen und deutschen Identität nachzudenken. Heute blickt er stolz zurück: „Vor fünf Jahren hat noch niemand in der muslimischen Community gewusst, was Poetry-Slam ist, und heute gibt es kaum eine thematisch relevante Veranstaltung ohne i,Slam-PoetInnen.“ Trotz der 286 Gastauftritte allein im Jahr 2016 sind Youssef Adlah und Leila El-Amaire mit ihrem Verein noch lange nicht am Ziel. Irgendwann soll i,Slam eine Institution werden, die ihren festen Platz in der deutschen Kulturlandschaft hat.

Vera Block arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Neben ihrer Haupttätigkeit als Radiojournalistin (rbb Kulturradio, Funkhaus Europa), arbeitet sie außerdem als Autorin, Redakteurin und Reporterin für verschiedene Printmedien.



 

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